Übungen in der offenen vs. geschlossenen Kette nach ACL-OP
Die Diskussion um offene und geschlossene kinetische Ketten wird seit Jahrzehnten kontroversiell geführt. Besonders in der akuten Phase nach einer chirurgischen Intervention bei Verletzungen des vorderen Kreuzbands (Ligamentum cruciatum anterior: ACL) gehen die Meinungen weit auseinander.
Wir wissen heute, dass ein ACL-Transplantat in den ersten 6-12 Wochen post-OP am wenigsten stabil ist. Es wurde vermutet, dass Bewegungen in der offenen kinetischen Kette die eingesetzte Bandstruktur schwächen, und dadurch zu einem erhöhten Risiko der Re-ruptur führen.
Das aktuelle systematische Review zeigt jedoch basierend auf der heute verfügbaren Evidenz keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf Bandlaxität, Quadrizepskraft, Patientenmeinung oder Funktion.
Dieses systematische Review beinhaltet eine ausführliche Meta-Analyse, die die zeitliche Abfolge der Trainingsprotokolle, die Qualität der Evidenz, Art des Transplantats, klinische und statistische Heterogenität und das Risiko für Bias miteinbezieht und anhand des GRADE Vorgehens bewertet.
Insgesamt wurden 10 Studien in das vorliegende Review eingeschlossen. Damit können Daten über 485 Teilnehmer im mittleren Alter von 24 bis 33 Jahren und 74% männlichen Patienten analysiert werden.
Laxität:
Laxität wurde mittels Arthrometrie in Millimetern gemessen. Geringe bis mäßige Evidenzqualität zeigt keinen signifikant og klinisch auffälligen Unterschied (auf 2mm angesetzt) in der Laxität, wenn Übungen in der offenen Kette früher als 6 Wochen post-OP eingeführt wurden; auch nicht im Vergleich verschiedener Transplantattypen.
Kraft:
Die Kraftentwicklung des Quadrizeps wurde mittels isokinetischem System oder eines Dynanometer gemessen. Geringe bis mäßigqualitative Evidenz weist keine Kraftunterschiede zu jedwedem Zeitpunkt unabhängig vom Transplantat auf, wenn Übungen entweder in der offenen oder geschlossenen kinetischen Kette früher als 6 Wochen post-OP absolviert wurden.
In Bezug auf Kurz- und Langzeit Follow-up mit der späten Einführung von Übungen in der offenen Kette ist die Evidenz begrenzt. Ebenso geringgradige Evidenz weist auf eine signifikante Kraftverbesserung durch eben jene Übungen in der offenen kinetischen Kette beim mittleren Follow-up Zeitraum hin.
Subjektive Patientenwahrnehmung:
Der Lysholm Score und Hughston Clinic Fragebögen wurden für die Einschätzung der Selbstwahrnehmung verwendet. In den Studien, die die frühe Einführung von Übungen in der offenen Kette untersuchten, gab es geringgradige Evidenzqualität auf keinerlei Unterschiede zwischen subjektiven Patientenempfindungen und Funktion zu keinem Zeitpunkt im Vergleich zur späten Einführung derselben Übungen.
Funktion:
Der dreifache Kreuzsprung und der Einbeinsprung wurden als Outcome Messungen für Funktion verwendet. Es konnten keine Unterschiede zwischen der frühen oder späten Einführung von Übungen in der offenen Kette gemessen werden.
Insgesamt, basierend auf der verfügbaren geringen bis mäßigen Qualität der Evidenz, scheint es keine signifikanten Unterschiede in Transplantatlaxität, Quadrizepskraft, Selbsteinschätzung des Patienten oder physischer Funktion zu geben.
Es bleibt zu beachten, dass ein großer Anteil der Studienteilnehmer männlich ist und die Ergebnisse deshalb nicht vollständig auf weibliche Patienten übertragbar sein könnten. Außerdem sind hochqualitative kontrollierte Studien nötig, um dieses Thema in der Zukunft erneut zu untersuchen.
> Von: Perriman et al., J Orthop Sports Phys Ther 48 (2018) 552-566. Alle Rechte vorbehalten: Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy. Hier klicken für die Pubmed-Zusammenfassung. Übersetzung von Lukas Krondorf.